Muss ich immer sichtbar sein?

Nach mehreren Jahren Queeraktivismus möchte ich zurückschauen, was ich dabei alles gelernt habe, für mich persönlich, und was mir vielleicht immer noch Mühe bereitet.

 

Für mich hat Queeraktivismus schon immer ‘sichtbar sein’ bedeutet, da wir gerade beim bunt_lieben viel für die Sichtbarkeit von queeren Personen machen. Dabei ist es manchmal schwer, selbst zu sagen oder zu merken, wie sichtbar man eigentlich ist. Und was diese Sichtbarkeit mit sich bringt.

 

Manchmal fühle ich mich, als würde ich mit irgendwelchen leuchtend-blinkenden Pfeilen über meinem Kopf herumlaufen. Nicht, weil mich Menschen im Alltag so behandeln, meist geht es eher um Online-Sichtbarkeit und um Views, Likes und Follower bei Instagram, die vielleicht schwer einzuordnen sind.

 

Manchmal komme ich mit Menschen ins Gespräch, die sagen, ich komme ihnen bekannt vor “ah ja, du bist beim bunt_lieben” oder ich spreche mit Menschen über den Verein und sie sagen, sie folgen uns schon länger auf Social Media. Da frage ich mich jeweils, was ich in letzter Zeit so alles gepostet habe und was die Menschen nun wohl für ein Bild von mir haben?

Manchmal höre ich von Menschen, dass mit ihnen über den Verein oder auch über mich als Aktivistin gesprochen wird.

Auf mich kommen aber sehr selten Menschen zu und sprechen mich auf meinen Aktivismus an.

Das führt dazu, dass ich mich manchmal in Räumen, in denen ich mich eigentlich wohlfühlen könnte, doch eher fremd fühle. Als ob die Menschen um mich herum nicht mich, sondern ein Abbild von mir sehen würden. Das irgendwie nicht ich bin, das irgendwie andere Formen hat, vielleicht auch andere Farben, doch ich kenne dieses Bild nicht.

 

Und dann höre ich von Erlebnissen von Menschen, die noch viel stärker ausgestellt sind durch ihren Aktivismus oder ihre politischen Tätigkeiten und frage mich, wie es ihnen wohl geht und wie sie mit ihrer Sichtbarkeit umgehen? Und ich frage mich, wie ich auf sie zugehen kann, wenn ich ihnen an Veranstaltungen begegne, neben dem meist kurzen “Hallo, wie geht es dir?” bevor schon die nächste Person da ist und Hallo sagt. Letztens an einer Veranstaltung hatte ich wieder eine dieser Begegnungen und dadurch ist dieser Text entstanden. Die Person hat nur durch ihren Namen etwas geschenkt bekommen, was andere wohl nicht erhalten hätten, und ich meinte zu merken, dass ihr das unangenehm war. Da hätte ich mir gewünscht, ihr möglichst ein Gefühl von “ich sehe dich als Menschen auf Augenhöhe und nicht nur deinen Namen” geben zu können.

 

Ich merke, dass dadurch, dass ich exponierter bin, ich auch stärker das Bedürfnis habe, aber auch die Notwendigkeit merke, mein öffentliches Ich zumindest in gewissen Teilen von meinem privaten Ich zu trennen. Menschen machen sich von meinem öffentlichen Ich ein Bild, kritisieren dieses vielleicht, oder idealisieren es, ich weiss es nicht so genau. Aber ich weiss, dass es nicht in all seinen Teilen mit meinem privaten Ich übereinstimmt, nicht übereinstimmen kann.

Ich zeige nur einen Teil meines Bildes, andere Teile bleiben unsichtbar oder vielleicht nur in Grautönen und nicht fertig coloriert. So kann ich mich etwas schützen, wenn mein öffentliches Ich kritisiert wird. Die Kritik an einem unvollständigen Bild kann vielleicht Teilbereiche des vollständigen Bildes treffen, doch nicht das vollständige Bild.

 

Zurück zu der viel exponierteren Personen. Ich möchte ihr das nächste Mal gerne zeigen, dass ich weiss, dass ihr öffentliches Ich und ihr Name nicht alles von ihr sind. Dass mir klar ist, dass es da noch mehr gibt, es aber ok ist, wenn sie mir nicht alles zeigt, da wir uns nicht persönlich kennen. Und dass ich gerne mit dem öffentlichen Bild in Berührung komme, mir aber bewusst bin, dass da Teile fehlen.

Wie kann ich das machen? Was würde ich mir an der Stelle der Personen wünschen?

 

Ich versuche, ehrliche, offene Gespräche zu führen. Ich versuche, der Person auf Augenhöhe zu begegnen und nicht zu ihr aufzuschauen. Ich versuche, Gedanken zu unterdrücken, wie: Die Person soll ihre wertvolle Zeit nicht mit mir verschwenden, da wollen ja noch ganz viele andere “Hallo” sagen. So würde ich sie unbewusst wegstossen. Stattdessen versuche ich, ihre Zeit dankbar anzunehmen, im Bewusstsein, dass hier eine Person wohl gerade ihren Job macht, es aber hinter dieser öffentlichen, professionellen Person auch noch einen Menschen mit Unsicherheiten und dem Bedürfnis nach Nähe und Verbundenheit zu anderen Menschen gibt.

 

Ich versuche, die Person als Mensch wahrzunehmen, der gerade in einer bestimmten Rolle mit mir interagiert und ich nicht von dem Menschen verlangen kann, die Rolle nach meinem Belieben zu wechseln.

 

Ich wünsche mir, dass auch wenn ich viel weniger sichtbar bin, Menschen doch auch sehen, dass ich verschiedene Rollen und Seiten an mir habe, die ich nicht immer alle zeige und dass ich mich manchmal auch etwas schützen muss, dies aber nicht als Ablehnung zu verstehen ist. Ich wünsche mir, dass Menschen direkt auf mich zukommen, wenn sie Fragen an mich haben (ich beantworte diese sehr gerne und kann sagen, wenn ich eine Frage nicht beantworten will). Ich wünsche mir, dass Menschen keine Berührungsängste zu mir haben weil sie vielleicht denken, dass ich viel mehr weiss oder kann, ich bin selbst oft sehr unsicher bei dem was ich mache und vieles kostet mich viel Überwindung weil ich oft denke, dass es andere doch besser könnten als ich. Nur sind das halt Seiten an mir, die ich nicht immer zeige oder die nicht immer Raum haben.

 

Text: Anina

Gegenlesen: Alex M. , Jonas


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