Endlich Fortschritt für Polys? - Einschätzung zur Verantwortungsgemeinschaft in Deutschland

Leonie ist Jurist*in und beschäftigt sich in ihrer Doktorarbeit mit Rechtsfragen rund um Mehrfachbeziehungen. In diesem Beitrag gibt sie eine Einschätzung zum Vorschlag der Verantwortungsgemeinschaft.

 

Die deutsche Bundesregierung will 2025 eine sog. Verantwortungsgemeinschaft (VG) einführen. Durch eine VG, wird ermöglicht, dass 2 – 6 volljährige Personen einen gesetzlichen Rahmen, also eine Absicherung für Näheverhältnisse jenseits von Liebesbeziehungen oder der Ehe, erhalten. Es geht hierbei um einen Vertrag mit verschiedenen, wählbaren Stufen und Modulen.

 

Ist das ein Grund zur Hoffnung für polyamore Personen mit und ohne Kinder?

 

Eine VG soll als Vertrag geschlossen werden, dies beinhaltet keine Registrierung beim Standesamt (wie bei einer Ehe oder eingetragenen Lebenspartner*innenschaft). Eine VG erhält daher weniger staatliche Anerkennung als eine Ehe. Denn VG-Verträge gelten (nur) zwischen den schließenden Parteien. Der Staat wird von ihrem Abschluss (anders als bei einer Ehe) nichts mitbekommen. Der VG-Vertrag soll außerdem notariell beurkundet werden müssen – das garantiert zwar, dass Verträge für jede Partei der VG fair werden, bedeutet aber auch, dass der Vertragsabschluss teurer wird.

 

In einer VG kann es z.B. um Vorsorge für Krankheits- und Sterbefälle gehen. Oder auch um die Regelung der alltäglichen Einkäufe, arbeitsrechtlichen und finanziellen Absicherung bei der Pflege von Personen in der VG und um finanziellen Ausgleich nach der Trennung. Manches hiervon ist noch in Prüfung. Finanzielle Ausgleiche sollen nur zwischen zwei(!) unverheirateten Personen möglich sein. Es soll aber durch die VG keine steuerrechtlichen Vorteile geben und kein Aufenthaltsrecht in Deutschland (anders als bei der Ehe).

 

Die künftige VG schließt die Einführung von Mehrelternschaft aus und enthält auch damit keine hilfreichen neuen Regelungen für Polys mit Kindern – das heißt es bleibt eine große Rechtsunsicherheit für Kinder aus Poly-Familien z.B. wenn ein oder beide rechtliche/n Elternteil/e stirbt/sterben. Die Familien erhalten dadurch auch keine Entlastung ihres Alltags. Weiterhin dürfen z.B. nur die Erziehungsberechtigten (und damit max. 2 Personen) mit dem Kind zum Arzt gehen oder es in der Schule anmelden. Es bleibt also eine starke Ungleichheit zwischen den rechtlichen und sozialen Eltern bestehen.

 

Das heißt: Die VG, so wie sie bisher geplant ist, wird teurer und bringt keine großen Verbesserungen. Erst recht keine Gleichstellung mit monoamoren (Ehe-)Paaren. Im Vorschlagspapier zum Gesetz steht mehr darüber, was die VG alles nicht enthalten sein soll, als zu den Vorteilen, die eine VG mit sich bringen kann. Es ist also auf das Negative fokussiert, statt wirklich was zu verbessern. Es fehlen vermögens- und sorgerechtliche Absicherungen! Trotzdem wäre es wichtig, dass die VG Wirklichkeit wird, selbst in diesem schlechten Format.

 

Denn wenn es die VG erst einmal gibt, kann sie wenigstens schrittweise ausgebaut werden. Zur Klarstellung: Das erfordert von einzelnen Polys lange, teure Jahre voller Diskriminierung, um vor Gerichten Rechte zu erstreiten – so wie es bei gleichgeschlechtlichen Paaren mit und ohne Kinder war und ist(!). Aber: Keine gesellschaftliche Veränderung hat je stattgefunden, ohne dass die von Ungerechtigkeit Betroffenen aufgestanden sind und dagegen gekämpft haben.

 

Wenn wir polyamoren Menschen etwas verändern wollen müssen wir also:

  • Wann immer wir können, laut werden.
  • Uns organisieren und politische Forderungen stellen.
  • Sichtbarkeit schaffen und Diskussionen führen.
  • Forschen und Forschung unterstützen und damit Rechte erstreiten.

Du möchtest das mit uns gemeinsam tun? Werde Mitglied bei uns oder nimm an unseren Netzwerk-Non-Monogamie Events teil.

 

Text: Leonie

Gegenlesen: Jonas, Jules

 

Der Text ist eine leicht angepasste Version eines Instagram-Posts von uns


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